Aktuelles

Tagebuch (9)
In unserer Kirche steht in diesen Wochen eine kleine Pieta. Die sehr alte Skulptur ist aus Holz, der Wurm hat viele Gänge gebohrt und Löcher hinterlassen. Von Farbe ist kaum noch etwas zu erkennen. An mehreren Stellen ist sie geradezu zerstört: das Gesicht Jesu ist abgeschlagen – nur eine gerade Fläche ist zurückgeblieben. An seiner linken Hand fehlen die äußeren Fingerglieder und Maria hat an ihrer linken Hand keinen Daumen mehr. War es Gewalt oder Unfall? Das lässt sich wohl kaum sagen.
Eine herbe Darstellung, man kann sie kaum „schön“ nennen. Maria trägt ihren toten Sohn auf dem Schoß, mit der rechten Hand hält sie ihn – eine unmögliche Haltung: so leicht ist ein Toter nicht. Den linken Arm Jesu hält sie mit ihrer linken Hand hoch, in einer eigenartigen Haltung. Es wirkt fast, als hätte sie den Steg eines Saiteninstruments, z.B. einer Gitarre, in der Hand. Dabei schaut sie ihren Sohn nicht an, sondern von ihm weg nach oben.
Die ganze Darstellung wirkt auf mich wie ein Schrei. Ist es ein Schrei der Klage oder ein Schrei der Anklage? Und dann fällt auf: die Haltung wirkt, als wolle sie Gott, dem Vater seinen Sohn hinhalten und ihm seine Wunden zeigen. Darum hält sie die ausgestreckte Hand kaum fest, sondern dreht sie so, dass die Nagelwunde sichtbar werden muss. Der Vater soll den toten Sohn, soll ihr Leid sehen, die Not, die sie in Worten nicht mehr ausdrücken kann. All den Schmerz, die Angst und die zerstörte Hoffnung.
Ist das nun eine niederdrückende Darstellung? Ich meine nicht. Denn es gibt jemand, es gibt diesen Vater, dem wir all unsere Angst und Not hinhalten dürfen. Auch dann, wenn sie das Maß dessen übersteigt, was wir ausdrücken können. Auch dann wenn sie im Grunde kein Gesicht (mehr) hat. Wir sind mit all unseren Sorgen nicht allein. Nehmen wir unsere Not, aber auch die Not der anderen in unsere Hände, zeigen wir sie dem Vater, halten wir sie ihm hin. Es wird uns damit nicht allein lassen.

Alte Pieta mit den Spuren der Zeit

Tagebuch (8)
Gestern abend haben wir die Andacht mit Papst Franziskus mitgefeiert. Normalerweise hätte ich gesagt, eine solche Veranstaltung paßt nicht ins Fernsehen. Doch das gilt für „normale“ Zeiten, jetzt war es gut, richtig und hilfreich. Mich hat die Andacht jedenfalls zutiefst berührt, und ich denke, manche Bilder werden für immer bleiben: Der alte, gebrechliche, einsame Mann auf dem leeren Petersplatz, der uns zuruft: „Fürchtet euch nicht!“, die Madonna mit dem hilflosen Kind, das Kreuz mit dem leidenden Jesus und das fürbittende Gebet des Papstes vor dem ausgesetzten Allerheiligsten im leeren Petersdom. Paulus schrieb im 2 Korintherbrief, die Kraft Gottes erweise sich in der Schwachheit(vgl. 2Kor 12,9). Vielleicht sollen wir das in dieser Fastenzeit lernen.
 

Tagebuch (7)
Eine gute Freundin schrieb mir, dass es sie traurig macht, von seiten der Kirche hauptsächlich zu hören, dass es keine Gottesdienste mehr gibt. Das findet sie wenig aufbauend, ja fast destruktiv. Die Kirche sollte eher eine Ermutigung zum persönlichen Gebet geben und alle Christen an ihr allgemeines, königliches Priestertum erinnern, das sie dazu beruft, stellvertretend für die ganze Menschheit Gott um Erbarmen und Hilfe anzuflehen. Denn genau in dieser Stellvertretung und in der priesterlichen „Pro-Existenz“ liegt unsere Würde als Christen. Meine Freundin schloss ihren Brief: „Vertrauen und Zuversicht, das sollten die neuesten Schlagworte werden.“
Dem kann ich mich nur anschließen, wobei unser fürbittendes Gebet sehr einfach sein kann. Die Christen der frühen Kirche beteten dreimal am Tag das Vaterunser. Ich höre den Einwand: „Aber das ist doch kein Fürbittgebet.“ Doch es ist ein Fürbittgebet, wenn man es bewusst als solches betet, d.h. das „unser“ betont. Wer dafür eine Anregung braucht, den verweise ich auf meinen Aufsatz zum Vaterunser: https://www.geistige-schriftauslegung.de/artikel/art000030.pdf.
Hier in Mariendonk geht das Leben in gewisser Weise wie gewohnt weiter und es gibt Schönes zu berichten. Schwester Paula steht am Ende ihrer Noviziatszeit und hat am Montag in der feierlichen Form der sogenannten Petitio um die Zulassung zur Profess gebeten. Darüber stimmte die Gemeinschaft heute ab, denn nur jemand, zu dem die Gemeinschaft mit überwältigender Mehrheit (mindestens Zweidrittelmehrheit) ja sagt, kann für immer bei uns leben. Schwester Paula darf ihre Profess ablegen. Das ist ein Anlass zur Freude!

Tagebuch (6)
Im Moment lese ich von Dava Sobel „Galilios Tochter“, ein lohnendes Buch sowohl als Biographie über Galilei als auch für Kirchengeschichte des 16./17. Jhs als auch in Bezug auf das Ordensleben in dieser Zeit. Erhalten sind in der Nationalbibliothek von Florenz die Briefe von Galileis Tochter, die Nonne war, an ihren Vater. Diese Briefe werden in dem Buch zitiert und in das Leben Galileis eingeordnet. Warum ich das schreibe? Weil ich ein Zitat aus diesem Buch bringen möchte, das wohl für sich selbst spricht:
„Der Doge von Venedig war der erste, der 1348 eine offizielle Quarantäne einführte, nachdem die Zahl der Pesttoten in der Stadt auf täglich sechshundert angestiegen war. Vierzig Tage lang (une quarantaine: so wurde die Dauer der Hafensperre für seuchenverdächtige Schiffe genannt, daher das Wort Quarantäne) wurden zurückkehrende Orientreisende vom Rest der Bevölkerung ferngehalten - so viele Tage, wie Jesus sich in der Wüste zurückgezogen hatte“ (218f).
Zur Frage wie es uns geht, gibt ein Interview Auskunft, das ich den Vatican News am Telefon gab:
https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2020-03/corona-krise-aebtissin-mariendonk-christiana-reemts-medienkonsum.html

Tagebuch (5)
Heute feiert die Kirche das Fest der „Verkündigung des Herrn“ und damit den Anfang der irdischen Geschichte Jesu. In den Texten der Liturgie begegnen viele weihnachtliche Motive, die in der Fastenzeit fremd klingen und aufhorchen lassen. Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt als Mensch unter Menschen. Und er hat ihn nicht in eine heile Welt gesandt, nicht in gesicherte Verhältnisse, wie man es von einem guten Vater erwarten würde, der frei ist und die Wahl hat. Aber Gott wollte für seinen Sohn keine heile Sonderwelt schaffen, denn die reale Welt ist nicht heil. Erst durch das Kommen Christi wird sie heil, durch seinen Weg durch das ganz gewöhnliche menschliche Leben, bis hin zu einem schrecklichen Tod. Nein, bis zur Auferstehung. Wir haben einen Herrn, der die Nöte der Menschen kennt – halten wir an ihm fest und gehen wir seinen Weg mit. Dieser Weg endet im Licht.
Von uns Schwestern ist nach wie vor niemand krank und wir versuchen, so gut es geht, durch Telefon und Emails zu helfen. Es ist für viele Menschen sehr schwer und wir fühlen uns schon allein dadurch, dass wir uns gegenseitig stützen können, sehr privilegiert.