Blog von Äbtissin Christiana Reemts

Der Spätsommer ist in diesem Jahr am Niederrhein berauschend schön. Es hat in den vergangenen Wochen viel geregnet und die Natur ist grüner und üppiger als in den vergangenen Jahren. Jetzt scheint die Sonne und das Grün der Wiesen ist so strahlend, dass es fast weh tut. Vor allem aber hat sich die Bruchlandschaft mit ihren kleinen Flüssen, Mooren, Seen und Tümpeln von der Trockenheit der vergangenen Jahre erholt, überall glitzert Wasser. Ich fahre viel mit dem Rad, gerne auch allein und tue nichts als schauen.
 
Bei Lesen neuerer Literatur stelle ich fest, dass manche Fragen fast nicht mehr thematisiert werden. Die Frage nach Gott z.B. kommt selten vor - es gibt Ausnahmen! - selbst dann nicht, wenn absolute Grenzsituationen beschrieben werden, man ist weder Glaubender noch Atheist, sondern stellt die Gottesfrage schlicht und einfach nicht mehr.  Im sexuellen Bereich kommt die Frage nach richtig oder falsch nicht mehr vor, "anything goes", der ganze Bereich scheint völlig aus einer ethischen Beurteilung herauszufallen. Ähnliches gilt für Sterbehilfe oder Suizid. Beschrieben wird höchstens, was das mit den Beteiligten „macht“.
 
Sehr oft findet man das Phänomen, dass Menschen, die schon jahrelang mit ihrem Partner zusammengelebt haben, heiraten und nach wenigen Wochen oder Monaten feststellen: Das geht gar nicht, so kann ich nicht leben. Dasselbe gibt es im Kloster: Jemand kennt eine Gemeinschaft gut, hat schon länger mitgelebt, bekommt  aber kurz nach dem Eintritt de Panik und will nur noch weg. So verschieden die Gründe im Einzelnen sein mögen, gemeinsam scheint mir zu sein, dass es für Menschen heute schwer ist, sich selbst als Teil einer Gemeinschaft zu sehen, sei es einer Ehe oder einer anderen Gemeinschaft, das vorherrschende Gefühl ist: Ich bin gefangen, ich bin nicht mehr ich, ich will weg. Selbst im Beruf wollen sich viele nicht mehr binden, weder an den Beruf selbst und schon gar nicht an einen Arbeitgeber.
Auf der einen Seite finde ich es gut und richtig, dass Menschen nicht Jahrzehnte im falschen Leben bleiben, auf der anderen Seite erlebe ich auch, dass nur diejenigen auf Dauer glücklich sind, denen es gelingt, ihr Leben zu einer Einheit zu formen.
 
Regelmäßige Ferien sind eine Einrichtungen in unserem Kloster, die ich nur halb akzeptiere und im Grunde für unmonastisch halte. Ich glaube,  Mönche des Antike und des Mittelalters würden sehr verständnislos auf Nonnen im Urlaub schauen. Warum ich als Äbtissin nichts tue, um etwas zu ändern, was ich für problematisch halte? Ich antworte mit den Worten, die der heilige Benedikt in Bezug auf den Weingenuss schreibt: „Zwar lesen wir, Wein passe überhaupt nicht für Mönche. Aber weil sich die Mönche heutzutage davon nicht überzeugen lassen, sollten wir uns wenigstens darauf einigen, nicht bis zum Übermaß zu trinken, sondern weniger.“ - Menschen heutzutage lassen sich nicht davon überzeugen, dass Urlaub kein Menschenrecht ist. Ich glaube im Übrigen durchaus, dass wir in Mariendonk die Erholung nötig haben. Der Fehler liegt meines Erachtens früher, er liegt darin, dass die moderne Gesellschaft uns auch im Kloster kaum noch erlaubt, ein wirklich ausgewogenes Leben zu führen.
 
Morgen beginnen unsere Klosterferien. Ich freue mich auf die freie Zeit und werde viel Lesen, Wandern und Rad fahren. Weitere Touren werde ich nicht unternehmen, die im Auto oder Zug verbrachte Zeit kommt mir sinnlos vertan vor, wenn es keinen ganz dringenden Grund gibt, irgendwohin zu fahren. Ich kann aber gut akzeptieren, wenn viele Mitschwestern das anders sehen.