Blog von Schwester Christiana
Bei den Nachrichten stolpere ich in letzter Zeit öfter über das Wort „warnen“, das immer häufiger gebraucht wird, um zu sagen, dass jemand gegen etwas ist oder eine Sache gefährlich findet. Dabei kommt der Ausdruck meistens gar nicht bei denen vor, die zitiert werden, sondern wird von Journalisten verwendet, um Äußerungen zusammenzufassen:
• Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnt vor einer deutlichen Preiserhöhung beim Deutschlandticket.
• Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnt vor einem Flächenbrand im Nahen Osten.
• Der Papst warnt vor den Gefahren der Künstlichen Intelligenz.
„Warnen“ heißt, jemanden auf eine Gefahr für ihn hinweisen und ihm dadurch raten, sich vorzusehen. Oder es kann bedeuten, jemanden drohen, um ihn daran zu hindern, etwas Bestimmtes zu tun („ich warne dich!“). Was mich irritiert, ist, dass es oft niemanden gibt, der gewarnt wird bzw. dass dieser Jemand sehr abstrakt bleibt. Auch, was man tun soll, um der Gefahr zu entgehen, bleibt im Dunkeln. So entsteht durch diesen häufigen Gebrauch von „warnen“, ein diffuses Klima der Bedrohung, das meines Erachtens unserer Gesellschaft nicht gut tut.
Schon vor vielen Jahren habe ich „Das denkende Herz der Baracke“ der niederländischen Jüdin Etty Hillesum gelesen und in diesem Jahr den wunderbaren Film von Peggy und Thomas Henke „Samstagmittag, 12 Uhr mit der Schauspielerin Martina Gedeck, nach den Tagebüchern von Etty Hillesum“ gesehen. Jetzt las ich die Gesamtausgabe der Tagebücher und Briefe von Etty Hillesum, „Ich will die Chronistin dieser Zeit werden. Sämtliche Tagebücher und Briefe 1941-1943“, ein irritierendes Buch. Über Hunderte von Seiten begleitet man eine junge Frau (28) dabei, wie sie sich um sich selbst, ihre Liebesbeziehung zu zwei viel älteren Männern und um ihre Krankheiten dreht und fragt sich immer wieder, was einen das alles eigentlich angeht. Doch immer läuft eine andere Frage mit, die gegen Ende ganz laut wird, die Frage nach Gott und nach dem Sinn der Lebens. Obwohl Etty Hillesum keine praktizierende Jüdin ist, findet sie zu einem tiefen, vertrauenden Glauben an Gott und zur Überzeugung, dass das Leben trotz allem schön und lebenswert ist. Dabei fand ich die Briefe, die sie aus dem Sammellager Westerbork schrieb, von dem aus die niederländischen Juden nach Auschwitz deportiert wurden, fast noch eindrücklicher als die Tagebücher. Sie schildert alles in seiner unfassbaren Unmenschlichkeit und zugleich kommen immer wieder Sätze vor wie: „Und trotzdem ist das Leben in seiner unfassbaren Tiefe so gut“ (5 Tage vor ihrer eigenen Deportation!). Diese Texte sind ein kaum zu verarbeitendes Zeugnis der Grausamkeit der Menschen und zugleich ein Zeugnis unfassbarer menschlicher Größe.
Vorgestern hatten wir einen Studientag zum Thema: „Liebe als Vollendung des Menschseins. Der Traktat De caritate des Thomas von Aquin“. Außer uns Schwestern nahmen auch viele Gäste teil, worüber ich mich gefreut habe, denn im Vorfeld dachte ich eher nicht, dass ein solches Thema viele interessieren würde. Es war ein sehr intensiver Tag der Thomaslektüre, den ich natürlich hier nicht zusammenfassen kann. Als wichtiger Gedanke bleibt mir, dass Thomas die Liebe eher von der „unitas“ (Einheit des Menschen) als von der „unio“ (Verschmelzung) her denkt. Der Mensch kann umso mehr lieben je geeinter, je ganzer, je heiler er in sich ist, denn nur so ist er davor bewahrt, den anderen zu vereinnahmen. Das gilt selbst für die Gottesliebe, auch hier ist nicht die Verschmelzung mit Gott das Ziel, sondern die eigene Personwerdung, um so als freier Mensch in der Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes zu leben.
Der Mann, der den Schatz im Acker haben wollte, musste das ganze Feld kaufen. Das dürfen wir nicht vergessen! Wie oft versuchen wir, uns das Beste aus einer Sache herauszupicken -„den Schatz“ - und ärgern uns über die Erde und die Steine. Doch das ist unreif und undankbar. In jeder Beziehung, und sei es die zu Christus und seiner Kirche, in jeder Aufgabe, in jedem Geschehen gibt es sowohl den Schatz wie auch den Acker, der ihn birgt. Freuen wir uns über den Schatz, aber seien wir auch dankbar für den Acker, der uns als zu bewältigende Aufgabe nun auch gehört.
Beim Auszug des Volkes Israel aus Ägypten ist die dritte Plage, mit der Gott die Ägypter straft: „Der Nil wird von Fröschen wimmeln; sie werden heraufkommen und in dein Haus eindringen, in dein Schlafgemach, auf dein Bett werden sie kommen, in die Häuser deiner Diener und deines Volkes, in deine Backöfen und Backschüsseln“ (Ex 7,28). Fast so schlimm ist es in diesem Jahr mit Schnecken: Sie fressen Blüten ab, man kann kaum irgendwo gehen, ohne auf welche zu treten, die Radfahrwege sind voll von ihnen und sie krabbeln sogar Wände hoch. Ich ekle mich vor keinem Tier, aber was zu viel ist, ist zu viel...
Doch eigentlich wollte ich gar nicht über Schnecken schreiben, sondern über die unbeschreibliche Herrlichkeit dieses Sommers, wovon die Schnecken nur eine lästige Kehrseite bilden. Durch den vielen Regen ist alles wunderbar üppig und geradezu strahlend grün. Ich bin voll Dank über diese Fülle und empfinde dieses Jahr besonders deutlich, wie schön Deutschland ist.
Manche Texte, die die Kirche zu Festen wählt, sind bei Licht betrachtet, erstaunlich. Heute feiern wir den Apostel Jakobus und man würde ein Evangelium erwarten, dass etwas Großes von diesem Apostel zu berichten weiß. Statt dessen eine Geschichte, die davon handelt, wie er und sein Bruder ihre Mutter vorschicken, um sich erste Plätze zu sichern. „Typisch Kirche, immer das Gerangel um Ämter und Würden“ denkt man und zugleich: „Passt diese Geschichte zu einem Heiligenfest?“
Auf den ersten Blick scheint sie nicht sehr ruhmvoll für Jakobus zu sein und Jesus weist sein Anliegen ja auch zurück bzw. erklärt sich für unzuständig. Aber weist er es wirklich zurück? Mir scheint, er weist zurück, dass man auf Kosten anderer nach vorne kommen will, dass man Macht missbraucht und Menschen unterdrückt. Die Liebe der beiden Jünger und ihren Wunsch nach möglichst großer Nähe zu Jesus weist er nicht zurück. Insofern ist Mt 20 doch ein schönes Festevangelium.