Blog von Schwester Christiana
Milliarden Jahre waren vergangen, seit Gott im Anfang Himmel und Erde geschaffen;
Millionen Jahre, seit er den Menschen gebildet;
Jahrtausende seit der großen Flut.
2000 Jahre waren vergangen seit der Berufung Abrahams;
1500 Jahre, seit Mose das Volk Israel aus Ägypten herausgeführt;
1000 Jahre seit der Salbung Davids zum König.
In der 65. Jahrwoche nach der Weissagung Daniels;
in der 194, Olympiade;
752 Jahre nach Gründung der Stadt Rom:
im 42, Regierungsjahr des Kaisers Octavianus Augustus,
als auf dem ganzen Erdkreis Friede war;
im sechsten Zeitalter der Welt;
vor 2000 Jahren: Da wollte Jesus Christus, ewiger Gott und Sohn des ewigen Vaters, Gott von Gott und Licht vom Licht, die Welt heiligen durch seine liebevolle Ankunft.
Durch den Heiligen Geist empfangen und nach neun Monaten von Maria der Jungfrau zu Bethlehem in Juda geboren, wird er Mensch.
Er, das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
Heute feiern wir den Tag seiner Geburt, das hochheilige Weihnachtsfest. Heute singen wir mit allen, die glauben: Christus ist uns geboren: Kommt, wir beten ihn an.
(Martyrologium romanum, Ankündigung von Weihnachten, gesungen in der Vesper am Heiligabend).
Immer wieder höre ich von Bekannten, man wolle an Weihnachten bewusst keine Nachrichten hören, sondern die Welt mit allem Schrecklichen für einige Tage vergessen. Ich verstehe das nur allzu gut. Weihnachten ist in diesem Jahr fast nicht zu feiern, jedenfalls nicht als Fest der Freude, Liebe und Geborgenheit. Aber das ist auch nicht die Botschaft, die Jesus uns gebracht hat und die von der Idylle der Krippe übertüncht wurde. Die wirkliche Botschaft Gottes lautet: Ihr seid verloren, und da ich euch liebe, tue ich alles, um euch zu retten. Das kann man auch in diesem Jahr feiern!
Der Advent, die Zeit der Erwartung, geht dem Ende entgegen. Doch worauf warten wir eigentlich? Jesus ist doch gekommen und wir sind keine Kinder mehr, die an Weihnachten den Geschenken entgegenfiebern. Wie das Weihnachtsfest ablaufen wird, wissen wir in der Regel, oft haben wir es selbst geplant.
Wir feiern an Weihnachten, dass etwas unendlich Großes geschehen ist, aber wir glauben, dass wir noch viel Größeres vor uns haben. Im Jesusbuch von Papst Benedikt findet sich mehrmals die Aussage, dass es „wartende Worte“ gibt, „Worte, die sozusagen herrenlos“ blieben, bis „der wahre Eigentümer der Texte“, Jesus Christus, kam und sie erfüllte. Ich glaube, es gibt immer noch wartende Worte, Worte die wir nicht verstehen, weil wir sie erst bei der Wiederkehr Christi verstehen sollen. Warten auf darauf voll Freude - nicht nur im bald zu Ende gehenden Advent.
Um den Glauben zu bewahren, genügt es nicht, „fromm“ zu sein, zu beten, zur Messe zu gehen und die Bibel zu lesen. Man muss auch dem, was dem Glauben entgegen steht und ihn zu zerstören droht, ab und zu ins Auge sehen. Der Gedanke, von dem unsere Gesellschaft mehr und mehr geprägt wird, ist nicht „es gibt keinen Gott“, sondern „es gibt keine vom Menschen unabhängige Wirklichkeit“. „Es gibt keinen Gott“ ist eine Aussage über die Wirklichkeit und darüber kann man streiten, aber wenn jeder seine eigene Wirklichkeit hat, gibt es kein sinnvolles Gespräch mehr. Natürlich nimmt jeder Mensch die Welt anders wahr, das ist eine Binsenwahrheit, die niemand bestreiten kann, aber als Christin gehe ich davon aus - ja weiß ich -, dass es Wirklichkeit gibt, die vom Menschen unabhängig ist und auf die zu vertrauen sich lohnt. Nur auf diesem Hintergrund kann man Weihnachten feiern.
Eigentlich lehne ich ab, was einem von frommen Leuten oft empfohlen wird, nämlich bei allem zu fragen: Was würde Jesus tun? Die Frage ist unbeantwortbar, und wenn ich in das Neue Testament schaue, erlebe ich dort einen Jesus, der Dinge tut und sagt, die gerade nicht vorauszusehen sind. Wir können uns nicht in ihn hineinfühlen, dazu ist er zu groß. Und doch gibt es Konstellationen, wo ich diese Frage auch selbst stelle: Was würde Jesus im Nahen Osten tun? Sicher nicht das, was gerade jetzt geschieht.
Der Gedanke an die Geiseln, die irgendwo unter dem Gazastreifen in dunklen Gängen gefangen sind, ist unerträglich. Der Gedanke, an all die Menschen im Gazastreifen, die fliehen müssen und ohne Wasser und Nahrung nur noch versuchen, irgendwie zu überleben, ist auch unerträglich. Es wird nichts Gutes dabei herauskommen, sondern immer nur noch mehr Hass. Hört endlich auf, möchte man schreien.
Der Gedanke, dass das Böse keine Tiefe hat, nicht „radikal“ ist (H. Arendt) beschäftigt mich. Das Böse besteht in Oberflächlichkeit und Verweigerung von Nachdenken? Wird es damit nicht verharmlost?
„Wir sollten keine Flüchtlinge mehr ins Land lassen...“
„Aber wir können sie doch nicht im Mittelmeer ertrinken lassen.“
„Wer sich mit 150 Mann in ein Schlauchboot setzt, ist selbst schuld, wenn er ertrinkt.“
Damit ist für manche die Sache erledigt. Was Menschen dazu bringt, eine solche Fahrt auf sich zu nehmen, wird nicht weiter überlegt.
Ob bei NS-Verbrechen, Gewalt auf den Straßen, Mißbrauch oder auch viel kleineren Sünden, immer verharmlosen wir, was wir tun:
„Die wollte das...“
„Er hat mich provoziert...“
„Ich habe nur getan, was man mir gesagt hat...“
„Ich war an dem Tag nicht gut drauf...“
„Ich habe es nicht so gemeint...“
Heilige sind Menschen, die in die Tiefe gehen:
- in die Tiefe ihrer eigenen Schuld
- in die Tiefe Gottes
- in die Tiefe des Verständnisses für andere (Herzenskenntnis)
Sünder scheuen diese Tiefe.