Blog von Schwester Christiana
Charismenorientierung bedeutet nicht, dass jeder nur das macht, was er selbst gerne möchte. Ich glaube im Gegenteil, dass die meisten Menschen ihre eigenen Charismen erst dann kennenleren, wenn sie Aufgaben übernehmen, die sie selbst nicht gewählt haben. Unser Selbstbild ist keineswegs immer unverzerrt, oft träumen wir uns etwas zusammen und leben an uns selbst vorbei. Vieles von dem, was ich in unserer Gemeinschaft an Aufgaben übernommen habe, hätte ich selbst niemals gewählt, aber es hat mich bereichert und letztlich glücklich gemacht. Trotzdem bleibt bestehen, dass man weder von Kaninchen verlangen kann, Gazellen zu jagen, noch von Löwen, zufrieden an Möhren zu knabbern.
Vor einiger Zeit war „Charismenorientierung“ ein in der Kirche oft gehörtes Schlagwort. Gemeint war, die in einer Gemeinde vorhandenen Charismen bewusst als Zeichen Gottes wahrzunehmen, nicht Menschen in vorhandene Aufgabe hineinzupressen, sondern die anzupackenden Aufgaben abhängig zu machen von denen, die da waren und sich einbringen wollten. Ich fand dieses Konzept gut, denn es beruhte auf dem Vertrauen, dass Gott uns geben wird, was wir brauchen.
Wenn ich jetzt das betretene Gejammer aufgrund der neuen Priesterstudie höre bzw. lese, frage ich mich, ob „Charismenorientierung“ inzwischen vergessen ist. Prof. M. Sellmann sah bei der Vorstellung der Studie folgende Probleme: „Die Priester sehen sich selbst in der Mehrzahl nicht als gestalterische Führungskräfte; ohnehin scheinen sie in der Mehrzahl mit den Settings und Werten der modernen Gesellschaft zu fremdeln. Sie fremdeln zudem mit den Anliegen von Kirchenreform. Daher werden sie wenig dazu beitragen, Kirche und Gegenwartsgesellschaft einander kreativ zu erschließen. Die Priester sind erkennbar auch nicht Mitträger des Synodalen Weges in Deutschland... Die Priester streben ein Kompetenzprofil an, das auf „Person“ und „Spiritualität“ setzt... Ihr Motivationsmuster ist größtenteils liturgisch, nahweltlich und individualistisch.“ Im Klartext heißt das: Die kommenden Priester haben Charismen, die nicht dazu dienen werden, die jetzigen Strukturen zu bedienen, sie verstehen sich als Geistliche und die wollen und brauchen wir nicht mehr.
Interessant war für mich ein Gespräch mit zwei älteren Priestern, beide Mitte 60, die nach Jahrzehnten in der Pfarrseelsorge letzte Woche entpflichtet wurden. Beide wollen weiter als Priester tätig sein, aber nicht in einer Pfarrei („das hat keine Zukunft mehr“), schon gar nicht in der Verwaltung, sondern nur noch in der Seelsorge. So groß ist der Graben zwischen jungen und alten Priester also nicht... Dass es schwierig wird, noch Bischöfe, Generalvikare und leitende Pfarrer zu finden, stimmt allerdings, aber dieses Problem löst man nicht, indem man die kommenden Priester als untauglich beschimpft. Schauen wir lieber auf ihre Charismen und fragen uns, was der Herr uns damit sagen will.
Wer sich für die Ergebnisse der Priesterstudie interessiert, findet die wichtigsten Ergebnisse unter:
https://www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/priesterstudie-veroeffentlicht
Ich neige nicht zu mystischen Erlebnissen, manchmal aber erlebe ich dennoch, dass mir fast blitzartig etwas deutlich wird, nicht intellektuell, sondern so ganzheitlich-existentiell, dass ich erschrecke. Das geschah vor einigen Tagen bei der Einleitung zum Sanctus, wo es über die Engel heißt: „.... nie endet ihr Lobgesang.“
Entweder gibt es den Gott, an den ich glaube, in seiner ganzen Liebe und Herrlichkeit, dann ist die Schöpfung von Begeisterung, Jubel und Zuversicht erfüllt (und nur wir Menschen sind oft taub und blind) oder es gibt nichts als ein kaltes Weltall, in dem unsere Erde als Lichtpunkt für kurze Zeit aufflackert, ohne dass es jemanden gibt, den das interessiert.
Männer und Frauen sind verschieden und erst wenn das wirklich gesehen und als Wert, der eine Gesellschaft bereichert, angenommen wird, können wir Fortschritte machen. So ist z.B. Krieg fast vollständig eine Männersache. Wenn man das Geschlechterverhältnis der Entscheider in Russland, der Ukraine, in Israel und den Palästinensergebieten umkehren würde, wenn es also im Wesentlichen Frauen wäre, die die Befehle geben, sähe manches anders aus. Nicht weil Frauen bessere Menschen sind, noch nicht einmal weil sie weniger aggressiv sind, sondern einfach weil sie anders sind und anderes sehen als Männer.
Ich fürchte, das ist eine ziemlich unpopuläre Ansicht.
Im Alltag erlebe ich nach wie vor viele Formen der Benachteiligung von Frauen. Männer drängen Frauen beiseite, hören ihnen weniger zu als anderen Männern und finden es selbstverständlich, dass Frauen die Arbeiten im Hintergrund machen. Alles nicht böse gemeint... Natürlich gibt es auch Frauen, die sich durchsetzen können und akzeptiert werden, aber meistens nur, wenn sie wie Männer agieren. Und das bestätigt im Grunde meinen ersten Satz.
Immer wieder wird mir von wohlmeinenden Mitschwestern erklärt, dass man dies und das (vor allem am Computer) praktischer machen könnte. Manches lasse ich mir zeigen, bei vielem aber bedanke ich mich freundlich und tue es nicht. Praktischer heißt in der Regel schneller, effizienter, ohne Routinearbeiten. Aber will ich das? Ich merke immer mehr, dass ich eher verlangsamen muss, dass ich Routinearbeiten brauche, um meinen Gedanken die Chance zu geben, hier und dorthin zu wandern, dass ich hinschauen und die Dinge in Ruhe bedenken will, nicht nur Worte produzieren. Oft schreibe ich sogar noch mit der Hand, wenn ich wirklich kreativ sein will... Oder ich schaue einfach aus dem Fenster... Nein, ich möchte nicht immer schneller werden.