Blog von Schwester Christiana
Beim Lesen der Tageszeitung frage ich mich immer mehr, ob die Politiker, die die Welt leiten, eigentlich alle verrückt geworden sind. Ich empfinde das, was wir zur Zeit erleben, als zutiefst falsch, krank, unnormal. Allerdings muss ich mich fragen, was ich unter „normal“ verstehe. Fast 80 Jahre Wohlstand und Frieden wie wir es in Europa erlebt haben - 80 oder mehr gesunde Jahre für den Einzelnen? Ist das normal? Spontan empfinde ich es so und bin betroffen, wenn ich von schwerer Krankheit, Hunger oder Krieg höre. Dieses spontane Empfinden, das sicher die meisten Menschen mit mir teilen, zeigt, dass wir unabhängig von unserem Glauben ein Gespür dafür haben, wie die Welt eigentlich sein sollte. Aber statistisch gesehen waren zu allen Zeiten und sind auch in der Gegenwart Krieg und Krankheit das „Normale“. Das zeigt uns, dass die Welt Erlösung braucht, egal ob die Mehrzahl der Menschen das weiß oder nicht. Danken wir dafür, wenn wir vor Leid und damit Versuchung bewahrt bleiben, aber erwarten wir nicht, dass das immer so bleiben wird. Und auch das scheint mir wichtig: Auch eine reiche, friedliche Welt braucht Erlösung und hat oft große Mühe, diese Tatsache zu erkennen.
Immer wieder höre ich rhetorische Formeln wie: „Das kann doch im Ernst heute niemand mehr meinen...“- „Die Wissenschaft sagt uns, dass...“ Man kommt sich dumm und zurückgeblieben vor, wenn man trotzdem widerspricht.
Auch alles, was Papst Franziskus sagt, wird sofort zerpflückt, beurteilt und als zu leicht befunden. Bei mir hat das dazu geführt, dass ich Texte, die aus Rom kommen, inzwischen sehr aufmerksam lese, was ich früher eher selten tat. Ich möchte nicht mehr auf die Beurteilungen, Meinungen und Kommentare anderer angewiesen sein. So hat mich die Erklärung „Fiducia supplicans“ über die pastorale Sinngebung von Segnungen sehr berührt. Wie liebevoll ist dieses Dokument und zugleich wie klar.
Es wird viel über Freiheit geredet und Menschen wenden sich im Namen der Freiheit gegen die Kirche und gegen Gott. Aber was ist Freiheit? In der Natur gibt es so etwas wie Freiheit nicht (man komme mir jetzt nicht mit der Sache von Welle und Teilchen...), selbst spontan wirkendes Verhalten von Tieren ist instinktiv gesteuert und viele Forscher meinen, dasselbe gelte auch für uns Menschen. Freiheit ist ein Geschenk von oben. Gott ist frei und , wer sich ihm zuwendet, wird frei. Freiheit gehört wie Liebe zu den Wirklichkeiten, die nur im Glauben, d.h. im sich auf sie einlassen, erfahrbar sind.
(zu Joh 21). Jesus fragt seine Jünger: „Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen?“ und schickt sie, als sie Nein antworten zum Fischen. Als sie dann mit einem reichen Fang zurückkommen, sehen sie, dass Fisch und Brot bereits vorhanden sind. Trotzdem sagt Jesus: „Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt!“
Was denn nun? Brauchst du unsere Fische oder nicht? Dieselbe Frage: Brauchst du unser Gebet, du weißt doch, was wir nötig haben. Brauchst du unsere Arbeit, du bist doch der Allmächtige? Brauchst du unsere Liebe, dir fehlt doch nichts? Alles Fragen, die Gottes Wirken auf derselben Ebene sehen wie unser eigenes und dann unwillkürlich denken: Entweder - Oder, entweder ich oder du. Das aber ist falsch, Gott ist der ganz Andere, der souverän wirkt, ohne unser Tun überflüssig zu machen. Auch das muss man glauben, in unserer Welt haben wir dafür kein Vorbild.
Maria ist Mutter, Jungfrau, Königin. Sie ist auch im Himmel kein rein geistiges Wesen, sondern hat einen Leib, sie bleibt auch im Himmel eine Frau. An ihr sehen wir unsere eigene Zukunft: Obwohl wir im Himmel nicht mehr heiraten, werden wir unser Geschlecht nicht verlieren, es gehört zu dem, was wir Christen „Auferstehung des Leibes“ nennen.
Gelesen:
Manfred Deselaers, Die Wunde von Auschwitz berühren. Freiburg 2024.
Ein weiteres Buch über Auschwitz? Nein, dieses Buch handelt nicht von den Schrecken der Konzentrationslager, sondern ist ein Buch über Frieden und Versöhnung. Manfred Deselaers, Priester des Bistums Aachen, arbeitet in einem Begegnungszentrum am Rande von Auschwitz. Warum tut jemand das? Die Antwort findet sich bereits im Vorwort: „Deshalb bleibe ich trotz allem bei meiner Hoffnung, dass das letzte Wort nicht der Macht des Bösen, des Egoismus, der Verachtung und Vernichtung gehört, sondern der Macht der Menschlichkeit, der Liebe. Getragen werde ich dabei auch von meinem biblischen Glauben an Gott, der diese Welt als gute erschaffen und seine Liebe zu uns nie zurückgezogen hat, selbst wenn er manchmal sein Angesicht verbirgt, weil er über uns weint“.
Ein Buch, das mich sehr berührt hat und mir viel gab.