Blog von Äbtissin Christiana Reemts

Hinter der Gottesfrage steht die Frage, ob die Materie oder der Geist das Erste und Bestimmende ist. Entweder ist alles Materie, dann ist der Geist und damit auch wir Menschen samt unserer Vernunft und Freiheit nicht mehr als eine sonderbare Fehlform der Materie. Oder am Anfang steht Gott und sein Willen, dass etwas ist, dann ist die Materie das, worin sich Gottes Liebe ausdrückt und was er dazu bestimmt hat, vergeistigt zu werden.
 
Advent ist die Zeit des Wartens, die Zeit des Noch-nicht. Es ist noch dunkel, es ist noch nicht Weihnachten, der Herr ist nahe, aber noch nicht da. Insofern ist der Advent ein Bild für unser ganzes Leben: Wir kennen Christus, wir sind von ihm erlöst, aber wir wandern noch in der Wüste, wir sind noch nicht im gelobten Land, wir haben noch nicht seine unverlierbare Gegenwart.  In meiner Kindheit wurde das Warten des Advent sehr betont: Der Adventskranz, bei dem mit einer Kerze angefangen wurde, das Plätzchenbacken, bei dem man höchstens ein oder zwei probieren durfte („die sind für den Weihnachtsteller“) und die Vorfreude auf Geschenke, die eingepackt aufbewahrt wurden.
In unseren Gesellschaft wartet man nicht gern, wir wollen alles immer und sofort. Das zerstört den Advent, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Am deutlichsten wird das bei den Weihnachtsmärkten, die eigentlich nach Weihnachten stattfinden müßten. Aber da sie Verkaufsmärkte sind, will das niemand, die Händler nicht und auch die Anwohner nicht, die froh sind, wenn endlich Weihnachten ist und das Gedudel aufhört.
Als Christen sollten wir uns den Advent nicht nehmen lassen, ihn nicht schon zur Weihnachtszeit umfunktionieren, sondern ganz bewusst auch die Dunkelheit unseres Glaubens wahrnehmen. Wir sind wartende Menschen, die sich von Paulus sagen lassen: „Der Herr richte euer Herz darauf, das ihr Gott liebt und unbeirrt auf Christus wartet“ (2 Thess 3,5).
 
„Einige sagen, dass es schlechte Hirten gibt. Wenn dem so ist, schweigen wir. Da wir in uns selbst zu kämpfen haben, weil wir gebrechlich und verwundbar sind, wie können wir von ihnen fordern, dass sie Übermenschen seien?“ (Roger Schutz, Kampf und Kontemplation). Geschrieben 1973, also auf nichts in unserer Gegenwart bezogen und doch: Wie aktuell!
 
Ein Gedanke aus der gestrigen Predigt zum Christkönigsfest:
8 Milliarden Menschen auf der Erde, viele von ihnen haben noch nie von Christus gehört oder lehnen ihn ab. Und doch ist er König über sie alle. Das ist kein Triumphalismus, sondern schlicht und einfach wahr.
 
Authentisch sein - ein Wert in unserer Zeit. Authentizität bedeutet Echtheit und Klarheit, so sein, wie man wirklich ist. Aber was heißt das konkret? Bin ich authentisch, wenn ich allem, was in mir ist, Raum gebe, meinen Begierden, Ängsten, unklaren Wünsche, meinem Geltungstrieb, meinem Egoismus und meinen Neidgefühlen? Oder bin ich authentisch, wenn ich versuche, das Gute zu leben, auch wenn ich es manchmal mehr aus meinem Verstand und meinem Willen heraus tue als aus meinem Bauchgefühl und mir wenig Freude macht. Oder theologisch gefragt: Bin ich authentisch, wenn ich tue, was Gott will oder bin ich authentisch, wenn ich meinem eigenen Willen folge?
Letzte Woche haben wir das Fest der heiligen Gertrud von Helfta gefeiert, einer mittelalterlichen Mystikerin. Sie schrieb: „Durch den Sturmwind deines Geistes versetze mich mit Gewalt in dich und nimm mich auf in den Schoß deiner liebevollen Fürsorge, damit ich wahrhaft anfange, von mir zu lassen und in dich, meine süße Liebe, eingehe. Dort, dort gib mir, mich selbst in dir zu verlieren, mich selbst so rückhaltlos zu verlassen, dass in mir von mir keine Spur zurückbleibe, wie das Stäublein, das verweht, keine Spur von sich zurückläßt. Führe mich so restlos in deine Liebe ein, dass in dir all meine Unvollkommenheit getilgt werde und ich außer dir kein Leben mehr besitze. Gib mir, mich in dir so zu verlieren, dass ich mich in Ewigkeit nimmermehr finde außer in dir.“