Blog von Schwester Christiana
Manchmal staune ich über das Wunder unserer Gemeinschaft. Ich bin seit 43 Jahren im Kloster und immer wieder frage ich mich voll Dankbarkeit, womit ich es eigentlich verdient habe, dass es 20 andere Menschen gibt, auf die ich mich bedingungslos verlassen kann. Ich finde das überhaupt nicht selbstverständlich, zumal ich weiß, dass viele andere Wohngemeinschaftsmodelle eine deutlich kürzere Lebensdauer haben.
Die Beziehung zu meinen Mitschwestern ist mit keiner anderen Beziehung zu vergleichen. Es fehlt die Vertrautheit, die man bei Geschwistern oder alten Schulfreunden empfindet und die selbst dann bleibt, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat, weil man verschiedene Wege geht. Es fehlt die Freiheit, die man bei Freunden hat und die darauf beruht, dass jeder sein eigenes Leben führt, man aber an dem des anderen teilhaben kannt. Trotzdem ist die Beziehung zu meinen Mitschwestern nicht lose und oberflächlich wie zu Bekannten und Mitarbeitern, die wechseln können. Ich würde sie im Gegenteil tiefer als jede andere Bindung nennen, aber ihr „Bindemittel“ ist nicht Natur (wie bei Verwandten) und auch nicht freie Entscheidung und Sympathie (wie bei Freunden), sondern Christus selbst und so stehen sie mir am nächsten von allen Menschen.
„Die Vielfalt der zeitlichen Gestalten trennte den Menschen von der göttlichen Einheit und vervielfältigte seine Gefühle. So entstand eine lästige Fülle und sozusagen eine reiche Armseligkeit“ (Augustinus, Über die wahre Religion 21,41).
Nochmal zu meinem vorigen Blog:
Anruf einer Frau, die einen Eintritt bei uns erwägt und für einige Tage zu Besuch kommen möchte. Als alles geklärt ist und die Gastschwester das Gespräch gerade beenden will, kommt eine letzte Frage: „Gibt es bei ihnen Mundkommunion?“ - „Bei uns kann jeder die Kommunion so empfangen, wie er möchte.“ - „Aber ihre Gemeinschaft, wie hält die es?“ - „Wir empfangen die Kommunion ehrfürchtig mit der Hand.“ - „Dann kommt Mariendonk für mich nicht in Frage!“ Und zu Ende war jeder Kontakt.
Das ist die eine Seite. Die andere: Wir erklären unseren Gästen bei ihrem ersten Besuch, dass unsere Kirche nicht wünscht, dass Nichtkatholiken in ihr zur Kommunion gehen. Sie können aber den rechten Arm über die Brust legen und bekommen dann vom Priester den Segen. Neulich hörte ich, dass es katholische Gäste gibt, die nicht mehr zu uns kommen, weil wir so intolerant sind und evangelische Christen mobben...
Ich lese zur Zeit von Ruth Klüger „weiter leben“ und „unterwegs verloren“ und bewundere die Schonungslosigkeit dieser Frau, die den Mut hatte, ohne Rücksicht auf sich selbst die Dinge beim Namen zu nennen. Ruth Klüger (* 1931) kam mit 11 Jahren ins KZ und überlebte nur durch Zufall. Ihre Bücher sind keine Berichte über Nazi-Grausamkeiten, sondern Reflexionen darüber, wie man als Betroffene weiterlebt (sie war 14, als sie befreit wurde!) und vor allem, wie die Umwelt auf einen Menschen reagiert, der die KZ-Nummer trägt. Wenn sie diese im Sommer sichtbar werden ließ, indem sie kurzärmelige Blusen trug, wurde das als peinlich wahrgenommen, man wollte im Alltag nicht an solche Dinge erinnert werden.
Ich nehme wahr, dass strukturell dasselbe bei sexueller Gewalt der Fall ist, deshalb glaube ich, dass die Bücher von Ruth Klüger aktuell sind und man sie lesen sollte. Ich jedenfalls finde in mir einen großen Widerstand, mich mit dem Problem des Mißbrauchs wirklich auseinanderzusetzen, und ich glaube allen Veröffentlichungen zum Trotz nicht, dass ich die einzige bin, der es so geht.
Eben fiel mir ein Text von George MacDonald in die Hände, der bedenkenswert ist. Auf MacDonald wurde ich durch C.S.Lewis aufmerksam, der ihn immer wieder zitiert. Der Text hat den Titel „Unnötige Aufregungen“.
„Wir trüben unsre Aufmerksamkeit mit Kleinigkeiten, füllen die himmlischen Räume mit Gespenstern, vergeuden die himmlische Zeit mit Hast. Wenn ich mir wegen einer Kleinigkeit Sorgen mache, sogar einer eingestandenen Kleinigkeit, dem Verlust irgendeines unwichtigen Gegenstandes zum Beispiel, mein Gedächtnis anstrenge, im Haus das Unterste zuoberst kehre, nicht aus einer unmittelbaren Notwendigkeit, sondern aus Verdruß über den Verlust an sich; wenn ich ein Buch ausgeliehen und nicht zurückbekommen habe und der Name des Entleihers mir entfallen ist, so dass ich mich über das Fehlen eines Bandes aufrege, ist es dann nicht Zeit, dass ich einige Dinge verliere, da ich so unvernünftig an ihnen hänge? Der Verlust von Dingen ist ein Zeichen der Gnade Gottes: er soll uns lehren, sie fahren zu lassen. Oder ich habe einen Gedanken verloren, der irgendwie mit der Wahrheit zu tun hatte und versuche verzweifelt, ihn zurückzurufen, bin unglücklich, bis ich ihn wieder gefunden habe, vielleicht nur, um ihn noch weit mehr zu verlieren in einem Notizbuch, in dem ich nie mehr danach schauen werde! Ich vergesse, dass es Gott auf Lebendiges ankommt.“